Verfahrensinformation

Gegenstand des Verfahrens ist die Einbeziehung des Klägers in das Auswahlverfahren für die Ausbildung als Regierungssekretäranwärter im mittleren nichttechnischen Dienst im Bundesnachrichtendienst (BND). Der Kläger hat zwar das Auswahlverfahren grundsätzlich bestanden, der BND lehnt jedoch seine weitere Berücksichtigung im Auswahlverfahren im Hinblick auf das Ergebnis der Überprüfung nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz ab, begründet dieses negative Ergebnis der Überprüfung aber nicht weiter. Der Kläger ist in Russland geboren und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.


Der Senat muss auch darüber befinden, ob sich aus der Neufassung des § 14 SÜG im Hinblick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit der sicherheitlichen Entscheidung des BND im Verhältnis zu den letzten Entscheidungen des Senats (BVerwG, Beschluss vom 17. September 2015 - BVerwG 2 A 9.14 - BVerwGE 153, 36 und Urteil vom 20. Oktober 2016 - BVerwG 2 A 2.16 -) Veränderungen ergeben.


Beschluss vom 12.01.2023 -
BVerwG 2 A 2.22ECLI:DE:BVerwG:2023:120123B2A2.22.0

Ablehnung eines Letztentscheidungsrechts hinsichtlich der sicherheitsrechtlichen Eignung

Leitsatz:

Auch die seit dem Beschluss des Senats vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36) beschlossenen Änderungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes lassen ein behördliches Letztentscheidungsrecht des BND bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos nicht hinreichend klar erkennen.

  • Rechtsquellen
    SÜG §§ 5, 14
    VwGO § 99

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.01.2023 - 2 A 2.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:120123B2A2.22.0]

Beschluss

BVerwG 2 A 2.22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
beschlossen:

Der Beklagten wird aufgegeben, diejenigen Aktenbestandteile vorzulegen, aus denen sich die von ihr gesehenen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG) bei einer Tätigkeit des Klägers beim Bundesnachrichtendienst ergeben.

Gründe

I

1 Gegenstand des Verfahrens ist die Einbeziehung des Klägers in das Auswahlverfahren für eine Ausbildung im mittleren nichttechnischen Dienst im Bundesnachrichtendienst (BND).

2 Der im Jahr 1990 in Russland geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Sommer 2021 bewarb er sich für eine Laufbahnausbildung im Verwaltungsdienst beim BND. Nach Abschluss des Auswahlverfahrens teilte ihm der BND mit, dass er das Auswahlverfahren bestanden habe und die Ausbildung entsprechend seiner im Auswahlverfahren erlangten Platzziffer Anfang März 2023 beginne. Zugleich wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass das Bestehen des Auswahlverfahrens noch keine Einstellungszusage darstelle, weil zur Einstellung noch weitere Verfahrensschritte erforderlich seien.

3 Im April 2022 erklärte die für die Sicherheitsüberprüfung im BND zuständige Stelle, gegen die Einstellung des Klägers bestünden Sicherheitsbedenken. Dem Kläger wurde am 29. April 2022 mitgeteilt, weitere Bearbeitungs- und Auswahlschritte hätten dazu geführt, dass er trotz Bestehens des Auswahlverfahrens nicht für die Laufbahnausbildung im BND berücksichtigt werden könne.

4 Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies der BND mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2022 zurück: Zur Eignung i. S. v. Art. 33 Abs. 2 GG zähle auch die sicherheitsrechtliche Eignung. Diese sei zu verneinen, wenn ein Sicherheitsrisiko vorliege. Im Zweifel hätten die Sicherheitsinteressen Vorrang vor anderen Belangen. Eine nähere Begründung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung sei ausgeschlossen, weil nur auf diese Weise eine Ausforschung des Erkenntnisstandes des BND und dessen Einstellungspraxis vermieden werden könne. Betroffene seien über das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung im Bereich des BND nicht zu informieren. Dementsprechend könnten dem Kläger die konkreten Gründe für seine Ablehnung nicht mitgeteilt werden.

5 Zur Begründung der am 29. Juli 2022 erhobenen Klage trägt der Kläger vor: Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber der Behörde ein Letztentscheidungsrecht unter Ausschluss jeglicher gerichtlichen Kontrolle eingeräumt habe. Tatsächliche Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko seien nicht ersichtlich. Der BND sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Da der BND seine Annahme hinsichtlich des angeblichen Risikos nicht offenlege, sei es ihm nicht möglich, die gegen ihn angeführten Sicherheitsbedenken richtigzustellen oder zu widerlegen.

6 Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 29. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Bundesnachrichtendienstes vom 11. Juli 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Bewerbung des Klägers, ihn unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Regierungssekretäranwärter zu ernennen und in den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst im Bundesnachrichtendienst einzustellen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts neu zu entscheiden,
sowie
die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

7 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

8 Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Begründung des angenommenen Sicherheitsrisikos zu. Durch die gesetzliche Regelung der Sicherheitsüberprüfung habe der Gesetzgeber dem Bestand und der Sicherheit des Staates Vorrang gegenüber dem Grundrechtsschutz der Betroffenen eingeräumt. Ausländische Nachrichtendienste versuchten immer wieder, durch gesteuerte Bewerbungen den Erkenntnisstand der Nachrichtendienste und deren Einstellungspraktiken auszuforschen. Der Neuregelung in § 14 Abs. 4 Satz 2 SÜG sei zu entnehmen, dass die Nachrichtendienste des Bundes hinsichtlich der Feststellung des Fehlens der sicherheitlichen Eignung eines Bewerbers kein weiteres Darlegungserfordernis treffe. Damit sei auch eine gerichtliche Überprüfung dieser Erwägungen ausgeschlossen.

9 Gehe man dagegen von der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung aus, so führte dies infolge der Sperrerklärung regelmäßig zu einem In-Camera-Verfahren nach § 99 VwGO. Dieses gehe infolge des sachtypischen Beweisnotstands und den Grundsätzen der materiellen Beweislast regelmäßig zum Nachteil des Bewerbers aus. Dem Umstand, dass ein derart langwieriger Verfahrensgang mit einer übermäßigen Bindung von Ressourcen einhergehe und dem Bewerber letztlich regelmäßig nicht die Möglichkeit eröffnet sei, den nötigen Beweis der Negativtatsache zu führen, habe der Gesetzgeber durch die Neuregelung Rechnung getragen. Ohnehin sei wegen der besonders exponierten Lage des BND bei der Entscheidung über die sicherheitliche Eignung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Deshalb gingen Lücken in der Aufklärung des Sachverhalts stets zu Lasten des Bewerbers. Dass das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung nicht zu überprüfen sei, ergebe sich auch daraus, dass es sich um eine Prognoseentscheidung im Bereich der Gefahrenabwehr handele, hinsichtlich derer der Behörde eine Einschätzungsprärogative eingeräumt sei. Gehe das Gericht hingegen auch im Hinblick auf die Neuregelung davon aus, dass die Entscheidung hinsichtlich der Sicherheitsüberprüfung der beschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliege und halte es weitere Teile des betreffenden Verwaltungsvorgangs für entscheidungserheblich, so werde der BND hinsichtlich dieser weiteren Verwaltungsvorgänge eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramts vorlegen.

10 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich nicht am Verfahren.

II

11 Gemäß § 86 Abs. 1 und § 99 Abs. 1 VwGO ist der Beklagten die (vollständige) Vorlage derjenigen Aktenbestandteile aufzugeben, aus denen sich die von ihr angenommenen tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 und § 14 Abs. 3 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes - Sicherheitsüberprüfungsgesetz - (SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 5. Juli 2021 (BGBl. I S. 2274), bei einer Tätigkeit des Klägers beim BND ergeben. Die Vorlage dieser Aktenbestandteile ist für eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich, weil der Senat nur so über das Rechtsschutzbegehren des Klägers befinden kann.

12 Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass die Einräumung eines behördlichen Beurteilungsspielraums bei der Entscheidung über das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos im Hinblick auf die Sachgesetzlichkeit des Regelungsbereichs naheliegt. Denn die anzustellende Prognose setzt einen "Akt wertender Erkenntnis" voraus, der von der fachlichen Einschätzungsprärogative des Geheimschutzbeauftragten geprägt ist und - geheim zu haltende - Kenntnisse von der Einstellungspraxis des BND voraussetzt. Sie kann von einem Gericht - auch unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen - nicht ersetzt werden. Auch die seit dem Beschluss des Senats vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36) beschlossenen Änderungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes lassen ein behördliches Letztentscheidungsrecht des BND aber nicht hinreichend klar erkennen. Auch nach den im Entscheidungszeitpunkt geltenden Vorschriften des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes hat das Bundesverwaltungsgericht als das nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO zuständige Gericht die Entscheidung des BND, eine etwaige Tätigkeit des Klägers beim BND begründe ein Sicherheitsrisiko i. S. v. § 5 Abs. 1 SÜG, grundsätzlich zu überprüfen. Dem BND steht insoweit kein gerichtlich nicht nachprüfbares Letztentscheidungsrecht zu.

13 Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts muss sich eine die Gerichte bindende behördliche Letztentscheidungsbefugnis ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder jedenfalls durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein (BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - BVerfGE 129, 1 <22>, Kammerbeschlüsse vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694 Rn. 24 und vom 9. November 2022 - 1 BvR 2263/21 - NVwZ-RR 2023, 121 = juris jeweils Rn. 26). Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese Voraussetzungen hinsichtlich der Entscheidung, die Beschäftigung einer bestimmten Person beim BND begründe ein Sicherheitsrisiko nach § 5 SÜG, nicht erfüllt.

14 Weder aus der Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 SÜG durch das Erste Gesetz zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634) noch aus den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes ergibt sich ausdrücklich, dass die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch die zuständige Stelle für Gerichte bindend sein oder für diese Feststellung und den dadurch zugleich bewirkten sicherheitsrechtlichen Eignungsmangel ein Letztentscheidungsrecht der Exekutive bestehen soll. Der Neuregelung kann auch nicht im Wege der Auslegung hinreichend deutlich entnommen werden, dass der Gesetzgeber der mit der Sicherheitsüberprüfung für Bewerber bei Nachrichtendiensten betrauten Stelle ein gerichtlich nicht nachprüfbares Letztentscheidungsrecht einräumen wollte.

15 Zwar schafft die Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 SÜG, wonach die Unterrichtung für Bewerberinnen und Bewerber bei den Nachrichtendiensten des Bundes sowie für Personen im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SÜG unterbleibt, neben der bereits in § 6 Abs. 1 Satz 4 SÜG geregelten Ausnahme von der Anhörungspflicht des betroffenen Bewerbers bei Nachrichtendiensten und dem ihm gegenüber bestehenden, nicht zu begründenden Auskunftsverweigerungsrecht (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 Satz 1 SÜG) eine weitere verfahrensrechtliche Ausnahme. Denn die - negative wie positive - Entscheidung über die Sicherheitsüberprüfung ist dem Betroffenen danach nicht mitzuteilen. Damit sind indes nur Regelungen zum Verwaltungsverfahren getroffen. Ein gerichtlich nicht nachprüfbares Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der materiellen Entscheidung über das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos ist der Behörde aber nicht eingeräumt.

16 Auch die Gesetzesmaterialien bieten keine Anhaltspunkte für ein weitergehendes Verständnis der Neuregelung; insbesondere sind auch der Begründung des Regierungsentwurfs zur Neufassung des § 14 Abs. 4 SÜG (BT-Drs. 18/11281 S. 80) keine Hinweise auf ein Letztentscheidungsrecht der Behörde zu entnehmen. In Bezug auf den neuen Satz 2 wird lediglich ausgeführt, die Regelung trage dem Umstand Rechnung, dass ausländische Nachrichtendienste immer wieder versuchten, durch gesteuerte Bewerbungen den Erkenntnisstand der Nachrichtendienste und deren Einstellungspraktiken auszuforschen. Die von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren für die Annahme eines solchen behördlichen Letztentscheidungsrechts vorgebrachten Erwägungen - allein bei Annahme eines behördlichen Letztentscheidungsrechts habe § 14 Abs. 4 Satz 2 SÜG einen eigenständigen Regelungsgehalt und der Gesetzgeber habe durch die Regelung eines solchen Letztentscheidungsrechts ein aufwändiges und für den Betroffenen regelmäßig negativ ausfallendes In-Camera-Verfahren nach § 99 VwGO vermeiden wollen - haben in der Begründung des Regierungsentwurfs keinen Niederschlag gefunden. Wenn es Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, über die bestehende Rechtslage hinauszugehen und sich für ein Letztentscheidungsrecht der Behörde auszusprechen, so hätte es nahegelegen, diese weitreichende Entscheidung zumindest in den Gesetzesmaterialien deutlich werden zu lassen.

17 Danach dürfte die Neuregelung des § 14 Abs. 4 Satz 2 SÜG dem Zweck dienen, das vom Senat im Beschluss vom 17. September 2015 - 2 A 9.14 - (BVerwGE 153, 36 Rn. 34 f.) zu § 14 Abs. 4 SÜG a. F. angenommene Auslegungsergebnis, wonach bei Bewerbern bei Nachrichtendiensten die Ablehnung nicht zu begründen ist, klarstellend in das Gesetz aufzunehmen.

18 Aus den bisher dem Gericht vom BND vorgelegten Akten lässt sich nicht eindeutig entnehmen, worin die tatsächlichen Anhaltspunkte bestehen, aus denen der BND die Annahme eines Sicherheitsrisikos i. S. v. § 5 SÜG im Falle einer Beschäftigung des Klägers im Geschäftsbereich des BND ableitet. Für die Entscheidung über den sachdienlichen Klageantrag bedarf es daher der Vorlage der bisher dem Gericht nicht zur Verfügung gestellten Teile der Unterlagen des BND.